Zufallsdatum

Zufallsdatum der Diagnose bei Eintritt eines Asbestlungenkrebs aus Anlaß der beruflichen Tätigkeit;

hier: Verspäteter Rentenbeginn erst ab Stellung der Diagnose der Berufskrankheit
Nr. 4104

In einem Rechtsstreit vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – L 10 U 694/16 – war die Frage zu entscheiden, ob die bewilligte Verletztenrente auf unbestimmte Zeit am 10.10.2012 zu beginnen hatte mit der Diagnose einer MdE von 100 %, d.h. ab dem Zeitpunkt der Diagnose also, oder ob nicht maßgeblich war der mutmaßliche Beginn der Erkrankung, hier an einem Lungenkrebs des Versicherten.

Nach § 202 SGG in Verbindung mit § 287 I ZPO analog beurteilt sich die Frage, ob ein Schaden entstanden ist und wie hoch sich der Schaden beläuft, nach freier richterlicher Überzeugungsbildung.

Von einer freien richterlichen Überzeugungsbildung kann dann keine Rede sein, wenn hier formal auf die Stellung der Diagnose abgestellt wird, statt den Sachverhalt auszuermitteln.

Hätte das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen § 286 ZPO beachtet, wäre die Vorverlegung des Erkrankungsbeginns an einem Asbestlungenkrebs nicht abgelehnt worden.

Das Gericht hat nämlich unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten sei.

In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fälle gebunden.

Im vorliegenden Fall indizierte die Tatsache eines Tumors der Größe 12 x 9 x 5 cm schon vor Oktober 2012 die Tatsache und Schlussfolgerung, dass dieser Tumor schon länger gewachsen war.

In freier Überzeugungsbildung hätte also das Landessozialgericht nunmehr den mutmaßlichen Beginn des Tumors bestimmen müssen.

Dazu und zu der Vorverlegung des Beginns der Verletztenrente kam es allerdings nicht.

Vielmehr verwahrte sich das Berufungsgericht gegen eine solche Schlussfolgerung, siehe Seite 7 des betreffenden Urteils.

Ein Kernsatz dieses Urteils ist:

„Wird kein Arzt aufgesucht, spricht vielmehr alles dagegen, dass eine ärztliche Behandlung objektiv erforderlich gewesen wäre.“

Ein unzweifelhaft vorher vorliegender Asbesttumor soll also objektiv nicht ärztlich behandlungsbedürftig sein.

Dieser Leitsatz führt in die Irre gewissermaßen.

Der an die Beklagte gerichtete Vorwurf der Klägerin, die beklagte Berufsgenossenschaft habe den Versicherten, d.h. den asbestkrebserkrankten Ehemann der Klägerin nicht ausreichend engmaschig überwacht, was dazu geführt habe, dass dieser nach April 2011 zunächst keinen Arzt mehr aufgesucht habe, liege neben der Sache, so das Landessozialgericht.

Denn die Berufsgenossenschaft hätte den Versicherten in regelmäßigen Abständen von ca. 2 Jahren gutachterlich untersuchen lassen.

Dass das bei einem Asbestkrebsfall nicht genügt und diesem auch nicht vorbeugt, kann nicht verwundern.

Vergeben wird bei einem zu langen Nachuntersuchungsintervall auch die Möglichkeit der Prävention.

Nicht eben höflich, wie zitiert, verneint das Landessozialgericht in diesem Fall eine engmaschigere Betreuung der Versicherten.

Es hat den Anschein, dass sozialgerichtlich eine Abstimmung unter den Richtern stattfindet, die Vorverlegung des Versicherungsfalls bei einem Asbestlungenkrebs etwa abzulehnen, mit der Begründung, man könne nicht auf die anatomische Historie des zugrundeliegenden Leidens mit Tumorgrößen und anderen Parametern abstellen, sondern allein auf die auf einem Leiden resultierende konkrete Funktionsbeeinträchtigung.

Demgegenüber heißt es an maßgeblicher Stelle des Gesetzes, § 56 Abs. 2 SGB VII:

„Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Erwerbsarbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens.“

Der Tumor kann noch so groß sein, wird er nicht bemerkt, entfaltet er angeblich keine Minderung der Erwerbsfähigkeit, obwohl der Versicherte bereits wie Hund gewissermaßen gelitten haben mag.

Rolf Battenstein
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Sozialrecht

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Selbstbestimmungsrecht

Selbstbestimmungsrecht der Mitgliedsunternehmen im Beitragsverfahren der Berufsgenossenschaft, was den Antrag nach § 44 SGB X auf Überprüfung und Antrag auf rechtsbehelfsfähigen Bescheid dazu anbetrifft.

Bei der Frage der Überprüfung nach § 44 SGB X, ob denn das betreffende Mitgliedsunternehmen nicht als Versicherungsunternehmen zu behandeln sei mit der Gefahrklasse 0,41, statt mit der höheren Gefahrklasse, hatte das Mitgliedsunternehmen unter dem 10.04.2017 wie folgt Antrag gestellt:

„Nachdem ein unzutreffender Widerspruchsbescheid ergangen ist, wird hiermit

Überprüfungsantrag gestellt zur Berufsgenossenschaft und Antrag auf rechtsbehelfsfähigen Bescheid dazu, und zwar deshalb, um festzustellen, dass es sich bei dem Mitgliedsunternehmen um ein Versicherungsunternehmen handelt mit der Gefahrklasse 0,41.“

In Erwiderung des an die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft gerichteten Überprüfungsantrages nach § 44 SGB X wandte sich die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft an das Sozialgericht Hamburg mit dem Bemerken:

„Deutet die Beklagte den Antrag auf Überprüfung der Gefahrklasse vom 10.04.2017, eingegangen am 13.04.2017 (§ 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – SGB X) um und bewertet diesen als Klage.“

Das Mitgliedsunternehmen musste nun Stellung nehmen gegenüber dem Sozialgericht Hamburg, was dann auch geschah, nämlich, dass die Beklagte nicht ernsthaft einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X der kostenfrei ist, in eine Klage umdeuten kann, die kostenpflichtig ist.

Außerdem kann im Klageverfahren keine Sitzung der Widerspruchsstelle stattfinden, welche nicht nur die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide zu prüfen hat, sondern auch deren Zweckmäßigkeit.

Gewissermaßen mit Gewalt legt es die Berufsgenossenschaft darauf an, das Mitgliedsunternehmen vor Gericht zu bringen, in ein kostenpflichtiges Verfahren, wo in Wahrheit die Berufsgenossenschaft die treibende Kraft ist gewissermaßen, die gefakte „Klägerin“.

Die Frage des Verfassers geht dahin, ob es empfehlenswert sein kann, in die Klage bereits dann zu gehen, wenn die Widerspruchsstelle immer noch nicht dem Mitgliedsunternehmen Gehör vor der Widerspruchsstellensitzung gewährt.

Die Widerspruchsstelle der Berufsgenossenschaft hat weitergehende Kompetenzen, nämlich die Zweckmäßigkeitsprüfung vorzunehmen, also über die bloße Rechtmäßigkeitsprüfung hinaus, § 78 I 1 Sozialgerichtsgesetz.

Rechtsanwalt
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Konkurrierende Kausalitäten beim Pleuramesotheliom durch Asbest

Konkurrierende Kausalitäten beim Pleuramesotheliom durch Asbest;

hier: Berufskrankheit Nr. 4105

Bei folgender Konkurrenzlage lehnt die Berufsgenossenschaft Holz und Metall einen beruflichen Zusammenhang eines Pleuramesothelioms ab:

„Nach den Ermittlungen unseres Präventionsdienstes war Ihr Ehemann während seiner beruflichen Tätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland in der Zeit vom 14.02.1966 bis 31.12.1968 bei der Firma L. einer kumulativen Asbestbelastung von 1,44 Faserjahren ausgesetzt.

Daneben war Ihr Ehegatte während seiner Tätigkeiten in den Niederlanden vom 01.01.1959 bis 31.07.1964 in der Textilfabrik vom 25.09.1964 bis 06.01.2966 beim Militärdienst in den Niederlanden und vom 01.01.1969 bis 31.12.1979 in der Firma M. einer Asbestexposition von 1,15 Faserjahren ausgesetzt.“

Das niederländische Sozialversicherungssystem sehe eine gesetzliche Unfallversicherung und einen Versicherungsschutz gegen Berufskrankheiten nicht vor, so dass eine berufliche Asbestexposition während einer Beschäftigung in den Niederlanden grundsätzlich als unversichert in der deutschen Unfallversicherung anzusehen ist.

Sowohl die Asbestbelastung während der versicherten Berufstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland als auch die Asbestbelastung während der Beschäftigung in den Niederlanden war jede für sich allein betrachtet, jeweils von Art und Umfang, wie auch von der Latenzzeit her, geeignet ein Pleuramesotheliom zu verursachen.

Die Berufsgenossenschaft aber weiter:

Es ergäben sich nach Auswertung der Unterlagen keine Hinweise dafür, dass eine dieser Einwirkungen überwiegt oder ansonsten ein höheres Risiko für die Entstehung eines Pleuramesothelioms darstellt.

Es bestünden so keine Anknüpfungspunkte dafür, dass sich gerade das aus der beruflichen Asbesteinwirkung in Deutschland ergebende Risiko, an einem Pleuramesotheliom zu erkranken, verwirklicht hat.

Wie hier berufsgenossenschaftlich die Kausalitätsnorm der gesetzlichen Unfall- und Berufskrankheitenversicherung übersehen wird, in dem Sinne, dass eine wesentliche Mitursächlichkeit vollkommen ausreichend ist, erscheint als einigermaßen erstaunlich in einem Fall des Pleuramesothelioms, wo der Verdacht auf eine Berufskrankheit bereits bei jedem Fall besteht, laut Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 4105.

Auf BSG in NJW 1964, 2222, muß Bezug genommen werden, wo die Rede ist von einer Kausalitätsnorm in dem Sinne, dass wesentliche Mitursächlichkeit der beruflichen Bedingung vollkommen ausreichend ist.

Es wird der Hinweis gegeben, dass selbst eine verhältnismäßig niedriger zu wertende Bedingung beruflicher Art sehr wohl wesentlich sein kann.

Die Kausalitätsnorm im Sinne der wesentlichen Mitursächlichkeit greift insbesondere dann, wenn der Berufskrankheitsfolgezustand nicht realiter teilbar ist in verschiedene Ursachenketten.

Dann bedeutet die Anwendung der Kausalitätsnorm gerade die berufsgenossenschaftliche Totalreparation und nicht etwa den Ausschluß der Leistungen.

Es ist nicht auszudenken, wie viele Fälle inzwischen aufgrund entsprechender berufsgenossenschaftlichen Einlassungen abgelehnt worden sind. Man könne ja nicht die konkreten Anknüpfungspunkte für eine Erkrankung in Deutschland erkennen.

In unserem Fall war der Widerspruch die logische Folge der Ablehnung durch die Berufsgenossenschaft, weshalb nunmehr die Widerspruchsstelle bei der Berufsgenossenschaft gefragt ist.

Ob hier der Arbeitnehmer und der Arbeitsgebervertreter es mitmachen, einen offenkundigen Entschädigungsfall zur Ablehnung zu bringen, bleibt abzuwarten.

In diesem Fall ist Klage zu erheben gegen den Widerspruchsbescheid, wenn denn ein solcher ergeht, woraufhin dann das Sozialgericht gefordert ist.

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Auslandsunfallversicherung und Auslandsberufskrankheitenversicherung

Auslandsunfallversicherung und Auslandsberufskrankheitenversicherung bei Ausstrahlung im Falle einer Asbestkrebserkrankung, Berufskrankheit Nr. 4105, hilfsweise Prüfung des Vorliegens einer Formalversicherung

Ein Fall des Sozialgerichts Gießen, S 1 U 108/16, gibt Anlaß zu diesem Blogvermerk.

Der Versicherte, früher Mitarbeiter eines großen deutschen Industrieunternehmens erlitt im Zuge eines Auslandseinsatzes für das selbe Unternehmen eine Berufskrankheit Nr. 4105, Pleuramesotheliom.

Als die Berufsgenossenschaft einwendete, es handele sich um keinen Fall der deutschen Berufsgenossenschaft, stellte sich heraus, daß das Mitgliedsunternehmen MAN AG Werk Nürnberg im Lohnnachweis das Entgelt des Versicherten und nunmehr Erkrankten nachgewiesen hatte, und zwar der Berufsgenossenschaft.

Insofern lag der Versicherungsschutz nahe bereits im Sinne der gesetzlichen Versicherung, weil die Auslegungsvorschrift des § 2 Abs. 2 dahingeht, im Falle der Auslegung sozialrechtlicher Vorschriften sicherzustellen, daß die sozialen Rechte des Anspruchsstellers möglichst weitgehend verwirklicht werden.

Hilfsweise hätte das Sozialgericht die Frage der Formalversicherung beachten müssen, deren wichtigste Grundlage die Zahlung des Beitrags des deutschen Unternehmens an die Versicherung, d.h. die Berufsgenossenschaft, darstellt.

Die Handhabung, im Ausland befindliche Mitarbeiter deutscher Mitgliedsunternehmen der Berufsgenossenschaft unter den deutschen Versicherungsschutz zu stellen, entsprach der damaligen berufsgenossenschaftlichen Entschädigungspraxis, wonach berufsgenossenschaftlich hingenommen wurde, daß die Mitgliedsunternehmen für den entsprechenden Mitarbeiter im Ausland die Beiträge zur deutschen Berufsgenossenschaft zahlten.

Das Sozialgericht Gießen mochte auch nicht die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 05.09.2006, B 2 U 24/05 R, respektieren, wo es heißt:

„Im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X haben Verwaltung und Gerichte auch ohne neues Vorbringen des Antragstellers zu prüfen, ob bei Erlaß des bindend gewordenen Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt wurde.“

Statt dessen forderte das Sozialgericht Gießen neuen Vortrag, und zwar entgegen also der zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.

Der Rechtsstreit um einen solchen Fall ist kein Anlaß, nicht auszuermitteln, welche Rundschreiben die Berufsgenossenschaften damals ihren Mitgliedsunternehmen dieserhalb zukommen gelassen haben.

Jedenfalls ist der Ablehnungsgrund nicht überzeugend, die Berufsgenossenschaft hätte keine Möglichkeit zu prüfen, ob die Beiträge, die vom Mitgliedsunternehmen der Berufsgenossenschaft mitgeteilt worden sind, tatsächlich geflossen sind.

Dies war erwiesen aufgrund der Auskunft des Mitgliedsunternehmens.

Noch Jahrzehnte später kann eine Witwe Überprüfungsantrag stellen und auch zum wiederholten Male, wenn sich die zutreffende Rechtsansicht des Versicherungsschutzes kraft Auslandsunfallversicherung oder Formalversicherung nicht durchsetzt bislang.

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Wegeunfall auf dem Weg zur Arbeit

Auslieferungsfahrer verunglückt auf dem Weg von der Wohnung seiner damaligen Freundin und Lebensgefährtin in Mönchengladbach zu seiner Arbeitsstätte
der Firma FS. in Dormagen als er gegen 7.25 Uhr auf der Autobahn A 46 Fahrtrichtung Neuss mit seinem Pkw auf einen Lkw auffuhr

Das Gesetz stellt in § 8 Abs. 2 Sozialgesetzbuch VII den Wegeunfall wie folgt unter Versicherungsschutz:

„Versicherte Tätigkeiten sind auch das Zurücklegen der mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Wege nach und von dem Ort der Tätigkeit.“

Moderner kann das Gesetz nicht gefasst sein, weil hier schlicht die entscheidenden Merkmale den Ausschlag geben.

Der Versicherte aus unserem Fall, d.h. der Auslieferungsfahrer war also beim Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach dem Ort der Tätigkeit verunglückt.

Insofern stünde dem Versicherungsschutz nichts im Wege.

Tatsächlich aber wird nachgerade anheimelnd von der Rechtsprechung der Wegeunfall dahingehend verkürzt, es handele sich dabei um einen Weg von der Wohnung, d.h. von zu Hause, zur Arbeit.

Der sogenannte Weg vom dritten Ort steht also bereits von daher schon unter einem Unstern gewissermaßen.

Wege, die nicht vom Zuhause aus zur Arbeit angetreten werden, werden also grundsätzlich abgelehnt.

Dies verstößt nun deutlich gegen § 2 Abs. 2 SGB I, wonach bei Auslegung der sozialrechtlichen Vorschriften sicherzustellen ist, dass die sozialen Rechte der Betroffenen möglichst weitgehend verwirklicht werden.

Dem Auslieferungsfahrer, der schwer auf der Autobahn verunglückte, wird also weiterhin der Versicherungsschutz entzogen, der nach der Gesetzeslage nicht zu übersehen ist.

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Gefahren für die Atemwege durch Dieselmotor-Emissionen

hier: Berufsgenossenschaftliche Entschädigungspraxis in den Berufskrankheitsfällen der Liste bzw. in den Berufskrankheitsfällen der neuen Erkenntnis im Einzelfall

Unter dem Stichwort Dieselmotor-Emissionen verweist Schönberger/Mehr- tens/Valtentin Arbeitsunfall und Berufskrankheiten 9. Auflage auf Seite 1147.

Dort heißt es:

„Die insbesondere lokal krebserzeugende Wirkung dieser Gemische wird maßgeblich auf den PAH-Gehalt zurückgeführt. Sie ist deshalb auch bei anderen PAH-haltigen Gemischen zu erwarten. Gehalt und Bedeutung anderer krebserzeugender Inhaltsstoffe wurden bisher nur begrenzt untersucht. So enthalten Dieselmotor-Emissionen auch krebserzeugende PAH, in ihrem Fall sind aber wahrscheinlich die Rußpartikeln für den kanzerogenen Effekt ausschlaggebend.

Er wurde in Tierversuchen nachgewiesen und Dieselmotor-Emissionen wurden deswegen nach Kategorie 2 eingestuft.“

Ein Hinweis ist dies nicht, unter welcher Nummer der Berufskrankheitenliste hier Erkrankungen durch Diesel entschädigungspflichtig werden können.

Ob neue Erkenntnisse im Einzelfall vorliegen, für die Kanzerogenität von Dieselmotor-Emissionen, bestimmt sich nach § 9 Abs. 2 SGB VII.

Eine nennenswerte Entschädigungspraxis hierzu berufsgenossenschaftlicher Art ist nicht erkennbar.

Wenn die Belastung der Bevölkerung durch Dieselmotor-Emissionen als gravierender empfunden wird, als diejenige von einschlägig belasteten Arbeitsnehmern in der Industrie, müssen die Verhältnisse genauer geprüft werden.

Es kann nicht sein, dass allgemeine Belastungen zur Reaktion der Regierungsstelle führt, nicht aber die Unterlassung einer Entschädigungspraxis zu Gunsten der Arbeiter, die exponiert sind, d.h. erheblich exponiert sind.

Anspruchsgrundlage für die Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit könnten etwa sein die Berufskrankheiten Nrn. 4113, 4114 und überdies die Berufskrankheiten Nr. 5102.

Die Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach neuer Erkenntnis im Einzelfall sind in § 9 Abs. 2 SGB VII geregelt.

Im Berufskrankheitsfall hier hat es den Anschein, als ob die berufsgenossenschaftliche Versicherung nur eine theoretische ist gewissermaßen, ohne eine Entsprechung der Arbeitsverhältnisse in der Entschädigungspraxis.

Die Bundesregierung möge den Berufsgenossenschaften aufgeben, einmal die Verhältnisse an den Arbeitsplätzen darzulegen und in eine vergleichende Betrachtung einzutreten dieserhalb.

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Errechnung von sogenannten 25 Asbestfaserjahren im Lungenkrebsfall beruflicher Art

Betrifft: Errechnung von sogenannten 25 Asbestfaserjahren im Lungenkrebsfall beruflicher Art, Berufskrankheit Nr. 4104 der Deutschen Berufskrankheitenliste

Klägerseitig war vor dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, L 6 U 48/15, Seite 5, folgendes geltend gemacht worden.

Laut einem früheren Asbestfaserjahresreport seien beim Schneiden mit einer Flex 500 Fasern pro Kubikzentimeter zugrunde zu legen.

Diesen Wert erfuhr der Verfasser in einem anderen Rechtsstreit durch den gehörten Technischen Aufsichtsbeamten einer anderen Berufsgenossenschaft.

Wo nun sind die 500 Fasern pro Kubikzentimeter des Prüfstandsversuches verblieben?

Auf Seite 5 des LSG-Urteils Sachsen-Anhalt findet sich jedenfalls dafür keine Erklärung.

Auf Seite 13/14 des zitierten Urteils Sachsen-Anhalt LSG berühmt sich dann das Berufungsgericht einer Sachkunde durch spätere Faserjahrreporte, ohne dies aber plausibel zu erklären.

Wörtlich heißt es:

„Da die zuvor dargestellten Rechenschritte auf für jedermann nachvollziehbaren Grundrechenarten beruhen, sah sich der Senat nicht zur Veranlassung eines Sachverständigengutachtens zur Faserjahrberechnung gedrängt. Die ohne jeden konkreten Ansatzpunkt für eine Fehlerhaftigkeit rein global aufgestellte Behauptung der Klägerin, die angesetzte Faserjahrdosis sei zu niedrig, reicht für eine solche Ermittlung ins Blaue hinein jedenfalls nicht aus.“

Wenn es im Prüfstandsversuch bereits 500 Fasern pro Kubikzentimeter sind, dann kann in der betrieblichen Wirklichkeit der Wert nur fataler ausfallen, weil eine Verschmutzung der Betriebsstätte bzw. Verstaubung der Betriebsstätte hinzuzurechnen ist, durch die verschiedenen Arbeiten.

Im vorliegenden Fall trifft die unzureichende Berechnung der Asbestfaserjahre einen Dachdecker bzw. dessen Witwe, und zwar nach einer Berufszeit des Dachdeckers von 1968 bis 2009.

Das Schneiden von Asbestzementwellplatten mit der Flex ist keineswegs mit einem Wert von 1,5 Fasern pro Kubikzentimeter zu berechnen, sondern mit einem Vielfachen davon, gegebenenfalls mit 500 Fasern pro Kubikzentimeter laut Prüfstandsversuch.
Ein asbestphysikalisches Sachverständigengutachten tut offenbar Not, und zwar unabhängiger Art.

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Fachanwalt für Sozialrecht

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Wie die Berufskrankheiten Nr. 28 der IAO-Liste, Berufskrankheitenliste, übergangen wird.

Lungenkrebs nach erheblicher Asbesteinwirkung beruflicher Art als Asbeststaublungenerkrankung im sinne der Berufskrankheiten Nr. 4103 erste Alternative;

hier: Konzertierte Aktion zum Schaden der Asbestopfer, indem die Berufskrank-
heiten Nr. 28 der IAO-Liste, Berufskrankheitenliste, übergangen wird.

Folgende Fälle geben Anlaß zu diesem Blogeintrag:

Bei der Auslegung der Berufskrankheit Nr. 4103 erste Alternative, wo die Asbestose als Asbeststaublungenerkrankung definiert ist, stellt man fest, dass dann auch ein Lungenkrebs nach erheblicher Asbestfaserjahreinwirkung von 6,7 Asbestfaserjahren eine Asbeststaublungenerkrankung ist, zumindest im Sinne der wesentlichen Mitursächlichkeit.

Diese Auslegung, dass ein Lungenkrebs nach gehöriger Asbesteinwirkung beruflicher Art eine Asbeststaublungenerkrankung ist, entspricht überdies auch der zwingenden Auslegungsvorschrift des § 2 Abs. 1 SGB I.

Bei der Auslegung der sozialrechtlichen Vorschriften ist danach sicherzustellen, dass die sozialen Rechte der Anspruchssteller möglichst weitgehend verwirklicht werden.

Das Gegenteil ist hier der Fall.

Es fällt auf in den berufsgenossenschaftlichen Bescheiden, aber auch in den Sozialgerichtsurteilen, dass diese plausible Auslegung wie bezeichnet, gewissermaßen todgeschwiegen wird in den Bescheiden und Urteilen, was wie eine konzertierte Aktion der Berufsgenossenschaften anmutet, und zwar zum Schaden der Versicherten, die erheblich beruflich asbestbelastet tätig waren und an einem Lungenkrebs erkrankten, der zugleich eine Asbeststaublungenerkrankung darstellt in diesem Sinne.

Verletzt wird hier die Kausalitätsnorm der gesetzlichen Unfall- und Berufskrankheitenversicherung in dem Sinne, dass wesentliche Mitursächlichkeit ausreicht.

Auf BSG in NJW 1964, 2222, wird Bezug genommen, wo die Rede ist von einer Kausalitätsnorm und der Hinweis gegeben wird, dass selbst eine verhältnismäßig niedriger zu wertende berufliche Bedingung sehr wohl wesentlich sein kann.

Warum die Berufsgenossenschaft eine Auseinandersetzung mit unserer Auslegung der Berufskrankheit Nr. 4103 erste Alternative scheut, erhellt aus der Verordnung der internationalen Arbeitsorganisation, dort die Nr. 28.

Als Berufskrankheit Nr. 28 ist bezeichnet: Lungenkrebs oder Mesotheliome, die durch Asbest verursacht werden.

Nachlesbar ist dies bei Mehrtens/Brandenburg, die Berufskrankheitenverordnung V50, Seite 5.

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Pleuramesotheliome der Familienangehörigen von Asbestisolierern, Dachdeckern etc.

Pleuramesotheliome der Familienangehörigen von Asbestisolierern, Dachdeckern etc.;

hier: Diskriminierung der asbestkrebserkrankten Familienangehörigen, Kinder, Ehefrau durch die Berufsgenossenschaft und das Sozialgericht, d. h. Leistungsausschluss unter ausdrücklichem Hinweis auf die „Sonderbeziehung Familie“.

So stellt man sich gemein hin nicht den besonderen Schutz von Ehefrau und Familie durch die staatliche Ordnung vor in den Fällen, wo die ebenfalls zu Schaden kommenden Familienangehörigen krebskrank werden infolge des Haushaltskontaktes mit dem Versicherten, der die asbestkontaminierte Arbeitskleidung mit nach Hause bringt, die sodann von Ehefrau und Kindern gereinigt wird, ausgebürstet, gewaschen usw..

Das Pleuramesotheliom, die gefährlichste Berufskrebsart, die es gibt, kennt nur eine Ursache, nämlich die Asbesteinwirkung auf den Körper des Betroffenen.

Ein Verdacht auf eine Berufskrankheit der Nr. 4105 ist bereits bei jedem Mesotheliom begründet.

Aber nun zum konkreten Fall:

Das Kind bzw. die Tochter des versicherten Dachdeckermeisters d. h. berufsgenossenschaftlich versicherten Dachdeckermeisters war 7 Jahre alt, als es damit begann, des Vaters Arbeitskleidung reinigen zu helfen zusammen mit der Mutter.

Dreißig Jahre später erkrankt das Kind an einem Asbestmesotheliom, in diesem Fall an einem Bauchfellmesotheliom, das ebenfalls in der Berufskrankheit Nr. 4105 unter Schutz, d. h. Versicherungsschutz gestellt ist.

Der Antrag an die Berufsgenossenschaft zielte darauf ab, eine Entschädigung des familienanghörigen Kindes zu erreichen, Stichwort „Tätigkeit wie ein Versicherter“ § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch VII.

Die Vorgängervorschrift lautete § 539 Abs. 2 RVO.

Diese Vorschrift hatte man in das Sozialgesetzbuch eingefügt, um den Schutz etwa von Familienangehörigen zu bewirken, die ernstliche Handreichungen im gewerblichen Bereich erbringen.

Genau das aber, die ausdrücklich so bezeichnete „Sonderbeziehung Familie“, gereicht aber dann hier der Tochter des versicherten Dachdeckermeisters zum Nachteil, das Kind hätte ja im Rahmen der Kindespflichten gehandelt.

Bilden wir zum besseren Verständnis ein Beispiel:

Das Nachbarkind hat bei der Reinigung der Arbeitskleidung des Dachdeckermeisters mitgeholfen.

Das Nachbarkind erkrankt dreißig Jahre später an einem Pleuramesotheliom, Berufskrankheit Nr. 4105.

Hier könnte das Landessozialgericht nicht den Einwand begründen, und zwar im Sinne einer Sonderbeziehung Familie.

Der Fall wäre nach § 2 Abs. 2 SGB VII in Verbindung mit der Berufskrankheitenverordnung Nr. 4105 entschädigungspflichtig.

Dabei ist dann noch zu beachten, dass § 2 Abs. 2 SGB VII so auszulegen ist, dass die sozialen Rechte der Anspruchstellerin möglichst weitgehend verwirklicht werden.

Die Ablehnung dieser Fälle durch Berufsgenossenschaften und Gerichtsbarkeit, hier die Sozialgerichtsbarkeit, ist nicht nur menschlich, sondern auch sozialrechtlich ein Skandal, der gewissermaßen zum Himmel schreit.

Die Betroffenen werden sich selbst überlassen von der Berufsgenossenchaft, die diese Fälle im Rahmen der Berufskrankheitsverhütung hätte verhüten müssen.

Nicht einmal an den berufsgenossenschaftlichen Überwachungsuntersuchungen dürfen die Familienangehörigen teilnehmen, die so asbestgefährdet tätig waren und asbestkrebskrank werden.

Die Sozialrichter fachsimpelten in der betreffenden mündlichen Verhandlung darüber, wieviel Stunden die Mitarbeit des Kindes im Familienhaushalt Pflicht des Kindes ist.

Die Verwechslung objektiver Kriterien im Sinne der Kausalitätsnorm der gesetzlichen Unfall- und Berufskrankheitenversicherung mit der subjektiven Vorstellung des versicherten Kindes ist Kernbereich der Anwendung der sog. finalen Handlungstendenz, einer Berufsgenossenschaftlichen Konstruktion, die es indiziert, den gewerblichen Bereich mit dem Privatbereich der Familie zu verwechseln.

Man muss sich vergegenwärtigen, dass bereits wenige Tage einer Asbestbelastung dreißig Jahre später die Entstehung eines Pleuramesothelioms verursachen können.

Im Fall des LSG NRW – L 15 U 484/16 – betrug die Asbestexposition einen Zeitraum vom 7. Lebensjahr, d. h. von 1970 bis ca. 1981.

Rechtsanwalt
Rolf Battenstein
Fachanwalt für Sozialrecht

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Die Kausalitätsnorm der gesetzlichen Unfall- und Berufskrankheitenversicherung

Die Kausalitätsnorm der gesetzlichen Unfall- und Berufskrankheitenversicherung, s. BSG NJW 1964, 2222 in Sachen BK 2108 der Lendenwirbelsäule.

Während die Berufsgenossenschaft mit dem Mainz-Dortmunder Dosismodell arbeitet, arbeiten wir, d. h. unsere Kanzlei mit der Kausalitätsnorm der gesetzlichen Unfall- und Berufskrankheitenversicherung in dem Sinne, dass wesentliche Mitursächlichkeit der beruflichen Bedingung vollkommen ausreichend ist.

Die Kausalitätsnorm greift insbesondere dann, wenn der Berufskrankheitsfolgezustand einer Berufskrankheit Nr. 2108 der Lendenwirbelsäule etwa realiter nicht teilbar ist.

In einer Berufskrankheitssache der Lendenwirbelsäule BK Nr. 2108 der Berufskrankheitenliste hatte der betroffene Versicherte vom 01.04.1971 bis zum 30.06.1994 bei seiner Tätigkeit auf der Lloyd-Werft in Bremerhaven eine Gesamtbelastungsdosis von 19,9 MNh davongetragen.

Dem wurde entgegengehalten, der hälftige Orientierungswert nach dem BSG-Urteil vom 30.10.2007 in Höhe von 12,5 MNh werde unterschritten.

Tatsächlich aber bestand bereits ab 1954 eine berufliche Tätigkeit mit einer entsprechenden Belastung offenbar.

Vor die Frage gestellt, ob das MDD-Modell Anwendung findet oder ob nicht hier die Kausalitätsnorm der gesetzlichen Unfall- und Berufskrankheitenversicherung greift, entscheidet sich der Verfasser dieser Zeilen für Letzteres.

Das Bundessozialgericht hat am angegebenen Ort von einer Kausalitätsnorm gesprochen, was nicht anders zu verstehen ist, als dass es sich hier um ein Gesetz im materiellen Sinne handelt, welches der Berufskrankheitenverordnung vorgeht.

Erst recht geht die Kausalitätsnorm berufsgenossenschaftlichen Beweisregeln vor, welche die Berufsgenossenschaften entwickeln unter Beteiligung geneigter Experten.

Was sich auf diesem Feld an Experten tummelt zugunsten der Berufsgenossenschaften, ist nicht nachvollziehbar.

Jedenfalls genügt der Hinweis einer wesentlichen Mitursächlichkeit der beruflichen Bedingung vollkommen, um den Versicherungsschutz auszulösen, d. h. die Anerkennung einer Berufskrankheit Nr. 2108 und deren Entschädigung insbesondere in Form der Verletztenrente und der Übergangsleistungen.

Auch ein Dosiswert von 8 MNh kann also wesentlich mitursächlich sein für die Berufskrankheit.

Es entscheidet der individuelle Fall und die individuelle Beurteilung.

Ließen sich die Folgezustände realiter teilen, bedürfte es der Kausalitätsnorm wie bezeichnet nicht.

Der Versicherte darf sich darin nicht täuschen lassen, dass das MDD-Modelll keine Rechtsverordnung ist, sondern vielmehr ein berufsgenossenschaftliches Schema, ohne dass die Berechnung der Berufsgenossenschaften zu verifizieren wäre.

Rolf Battenstein
Fachanwalt für Sozialrecht

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