Zufallsdatum

Zufallsdatum der Diagnose bei Eintritt eines Asbestlungenkrebs aus Anlaß der beruflichen Tätigkeit;

hier: Verspäteter Rentenbeginn erst ab Stellung der Diagnose der Berufskrankheit
Nr. 4104

In einem Rechtsstreit vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – L 10 U 694/16 – war die Frage zu entscheiden, ob die bewilligte Verletztenrente auf unbestimmte Zeit am 10.10.2012 zu beginnen hatte mit der Diagnose einer MdE von 100 %, d.h. ab dem Zeitpunkt der Diagnose also, oder ob nicht maßgeblich war der mutmaßliche Beginn der Erkrankung, hier an einem Lungenkrebs des Versicherten.

Nach § 202 SGG in Verbindung mit § 287 I ZPO analog beurteilt sich die Frage, ob ein Schaden entstanden ist und wie hoch sich der Schaden beläuft, nach freier richterlicher Überzeugungsbildung.

Von einer freien richterlichen Überzeugungsbildung kann dann keine Rede sein, wenn hier formal auf die Stellung der Diagnose abgestellt wird, statt den Sachverhalt auszuermitteln.

Hätte das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen § 286 ZPO beachtet, wäre die Vorverlegung des Erkrankungsbeginns an einem Asbestlungenkrebs nicht abgelehnt worden.

Das Gericht hat nämlich unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten sei.

In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fälle gebunden.

Im vorliegenden Fall indizierte die Tatsache eines Tumors der Größe 12 x 9 x 5 cm schon vor Oktober 2012 die Tatsache und Schlussfolgerung, dass dieser Tumor schon länger gewachsen war.

In freier Überzeugungsbildung hätte also das Landessozialgericht nunmehr den mutmaßlichen Beginn des Tumors bestimmen müssen.

Dazu und zu der Vorverlegung des Beginns der Verletztenrente kam es allerdings nicht.

Vielmehr verwahrte sich das Berufungsgericht gegen eine solche Schlussfolgerung, siehe Seite 7 des betreffenden Urteils.

Ein Kernsatz dieses Urteils ist:

„Wird kein Arzt aufgesucht, spricht vielmehr alles dagegen, dass eine ärztliche Behandlung objektiv erforderlich gewesen wäre.“

Ein unzweifelhaft vorher vorliegender Asbesttumor soll also objektiv nicht ärztlich behandlungsbedürftig sein.

Dieser Leitsatz führt in die Irre gewissermaßen.

Der an die Beklagte gerichtete Vorwurf der Klägerin, die beklagte Berufsgenossenschaft habe den Versicherten, d.h. den asbestkrebserkrankten Ehemann der Klägerin nicht ausreichend engmaschig überwacht, was dazu geführt habe, dass dieser nach April 2011 zunächst keinen Arzt mehr aufgesucht habe, liege neben der Sache, so das Landessozialgericht.

Denn die Berufsgenossenschaft hätte den Versicherten in regelmäßigen Abständen von ca. 2 Jahren gutachterlich untersuchen lassen.

Dass das bei einem Asbestkrebsfall nicht genügt und diesem auch nicht vorbeugt, kann nicht verwundern.

Vergeben wird bei einem zu langen Nachuntersuchungsintervall auch die Möglichkeit der Prävention.

Nicht eben höflich, wie zitiert, verneint das Landessozialgericht in diesem Fall eine engmaschigere Betreuung der Versicherten.

Es hat den Anschein, dass sozialgerichtlich eine Abstimmung unter den Richtern stattfindet, die Vorverlegung des Versicherungsfalls bei einem Asbestlungenkrebs etwa abzulehnen, mit der Begründung, man könne nicht auf die anatomische Historie des zugrundeliegenden Leidens mit Tumorgrößen und anderen Parametern abstellen, sondern allein auf die auf einem Leiden resultierende konkrete Funktionsbeeinträchtigung.

Demgegenüber heißt es an maßgeblicher Stelle des Gesetzes, § 56 Abs. 2 SGB VII:

„Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Erwerbsarbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens.“

Der Tumor kann noch so groß sein, wird er nicht bemerkt, entfaltet er angeblich keine Minderung der Erwerbsfähigkeit, obwohl der Versicherte bereits wie Hund gewissermaßen gelitten haben mag.

Rolf Battenstein
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Sozialrecht

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Verhältnis der Berufskrankheiten Nr. 4103 (Asbestose) und 4104 (Asbestlungenkrebs) zueinander

Verhältnis der Berufskrankheiten Nr. 4103 (Asbestose) und 4104 (Asbestlungenkrebs) zueinander

In einem Fall des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen – L 15 U 371/13 – findet sich auf Seite 12 des Berufungsurteils folgender Hinweis:

„Danach lag bei dem unstreitig an der Lungenkrebserkrankung verstorbenen Versicherten weder ein Mesotheliom (BK 4105) noch eine Asbestose oder Erkrankung der Pleura im Sinne der ersten beiden Alternativen der BK 4104 vor. Daher erübrigen sich weitere Überlegungen zu der von der früheren Klägerin ebenfalls thematisierten BK 4103 (Asbeststaublungenerkrankung), da dieses Krankheitsbild von der BK 4104 mit umfaßt wird, welche wiederum Brückenbefunde der BK 4103 voraussetzt (Konsumtion, vgl. Lauterbach, Unfallversicherung 4. Auflage 2013, § 9 Anhang IV Rn. 10).“

Wenn es sich um einen Lungenkrebs nach gebührender beruflicher Asbestexposition von mindestens 14,6 Asbestfaserjahren handelt, ist nicht von der Hand zu weisen, daß es sich dabei um eine Asbeststaublungenerkrankung handelt, im Sinne der Berufskrankheit Nr. 4103, weil dort die Asbestose als Asbeststaublungenerkrankung definiert ist und ein Lungenkrebs nach gebührender beruflicher Asbestexposition eine Asbeststaublungenerkrankung darstellt, im Wortsinne und im Sachsinne.

Da die Berufskrankheit Nr. 4103 eine eigenständige Berufskrankheitennummer ist, muß dem entschieden entgegengetreten werden, wenn das Landessozialgericht hier zu der Auffassung gelangt, die Berufskrankheit Nr. 4103 werde von der Berufskrankheit Nr. 4104 gewissermaßen konsumiert.

Das Gegenteil ist richtig.

Eine zu bejahende Anspruchsgrundlage, Berufskrankheit Nr. 4103, kann nicht durch einen Blick in die Berufskrankheitennummer 4104 gewissermaßen entfallen.

Die Ansprüche der Betroffenen sind offenkundig, etwa auf die Lebzeitenleistungen, Verletztenvollrente, Übergangsleistungen, Verletztengeld, Hinterbliebenenleistungen, wie die Witwenrente und die Waisenrenten.

Im Falle des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen – L 15 U 371/13 – entfällt aber offenbar die Beschwer, weil keine Erben mehr auffindbar waren.

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Sozialrecht

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Mobbing

„Mobbing“*) im Sozialgerichtsprozess bezüglich der Arbeitsunfall-, Wegeunfall-, Berufskrankheitssachen, d.h. Androhung von sogenannten Verschuldenskosten nach § 192 SGG durch den Sozialrichter, obwohl der Rechtsbehelf sorgfältig begründet ist.

Diesseitiger Auffassung nach ist die Androhung von angeblichen Verschuldenskosten schlechthin unvertretbar, wenn es sich handelt um Fälle wie folgt.

1. Die Berufsgenossenschaft kürzt im 5. Laufjahr einer Übergangsleistung nach § 3 Abs. 2 BKV (die gefährdende Tätigkeit, die zur Berufskrankheit führte, wurde unterlassen) um 80 % = 4/5.

Dies geschieht, obwohl im Rahmen einer Ermessensausübung § 2 Abs. 2 SGB I vorgibt, die sozialen Rechte des Anspruchstellers möglichst weitgehend zu verwirklichen, d.h. hier im Sinne des Ersatzes der vollen Verdienstminderung, um die es geht.

2. Es wird die Anerkennung der Berufskrankheiten nach neuer Erkenntnis im Einzelfall aufgrund eines Stichtageinwandes verweigert von der Berufsgenossenschaft, etwa in den Fällen, die nach dem Stichtag als Listenberufskrankheit Nr. 4111, 4104 etc. entschädigt werden.

Dies mag 3000 Bergarbeiteremphysemfälle anbetreffen und eine Vielzahl von Fällen etwa des Asbestlungenkrebs in Verbindung mit 25 Asbestfaserjahren usw.

Anzumerken ist, daß die Bergarbeiteremphysemfälle nach § 551 Abs. 2 RVO, Berufskrankheit nach neuer Erkenntnis im Einzelfall in der Regel bis heute noch nicht abgeschlossen worden sind, sondern lediglich unter dem Aspekt der Berufskrankheit Nr. 4111 entschieden wurden.

3. Es fehlt an einem unabhängigen arbeitstechnischen Sachverständigengutachten und insbesondere wurde im Berufskrankheitsfall Nr. 4104 bei der Asbestfaserjahrzählung ein Wert zu gering angesetzt, nämlich in Höhe von 10 Fasern pro cm³ Atemluft, obwohl der Versicherte ungeschützt volle Asbestsäcke in einem Kneter entleerte, was mehrere 100 Fasern pro cm³ ausmacht.

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Sozialrecht

*) Im Sinne der Zielsetzung, den Rechtsuchenden aus dem Prozess zu drängen und dessen
Klagerücknahme zu erzwingen.

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Versicherungsschutz wie ein Versicherter

hier:    Die Asbestose der Hausfrau, welche die Arbeitskleidung ihres über 15 Jahre bei
der Spritzasbest-Gesellschaft in Frankfurt asbeststaubexponiert tätig gewesenen
Ehemannes in der gleichen Zeit reinigte, Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Gießen
-S 1 U 7/08 –

Der Vorsitzende der 1. Kammer des Sozialgerichts Gießen ließ sich nicht davon beeindrucken, daß die angesehenen Arbeitsmediziner der Justus-Liebig-Universität Gießen sich in der Zeitschrift Die Sozialgerichtsbarkeit 1994, S. 557 ff., gewissermaßen gegen die unzutreffende Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit verwahrten, welche den Hausfrauen in den gleichgelagerten Fällen den Versicherungsschutz gegen Asbestose, gegen Asbestlungenkrebs und gegen Pleuramesotheliom verweigern, obwohl der gewerbliche Zusammenhang augenfällig ist.

Während beim Arbeitsunfall die einmalige Handreichung eines Passanten bei der Erstellung eines Baugerüstes dazu führt, daß Versicherungsschutz wie ein Versicherter anerkannt wird, sind es die tausendfachen Handreichungen einer Ehefrau bei Reinigung der gefährlich kontaminierten Arbeitskleidung des Ehemannes nicht wert, selbst wenn diese über 15 Jahre anhalten, den dann entstandenen gewerblichen Schaden aus einer Tätigkeit „wie ein Versicherter“ zu bestätigen.

Der Vorsitzende des Sozialgerichts, G., beschränkt sich mehr oder weniger in einer Bezugnahme auf das Urteil des BSG vom 13.10.1993 – 2 AU 53/92 -, was heute noch so unzutreffend ist wie damals, als es gefällt wurde.

Der Betrachter kann sich selbst ein Bild davon machen, wie die Rechtslage zu verstehen ist.

Die Berufskrankheitenverordnung gewährt etwa in der Nr. 4103 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung Versicherungsschutz für das Erleiden einer Asbestose, hier der Asbestose der Klägerin.

Wenn diese nicht ausdrücklich für den Arbeitgeber des Mannes arbeitete, schließt dies den Versicherungsschutz deshalb nicht aus, weil es die Vorschrift des § 2 Abs. 2 SGB VII gibt:

„Ferner sind Personen versichert, die wie nach Abs. 1 Nr. 1 Versicherte tätig werden“.

Die Ehefrau wurde in den Fällen, wo sie die Reinigung der asbestkontaminierten Arbeitskleidung vornahm, in der Sphäre des Asbestunternehmens tätig, das ansonsten die gefährlich kontaminierte Arbeitskleidung durch ein Fachunternehmen hätte reinigen lassen müssen, wo dann Fachkräfte diese Reinigung hätten sachgerecht vornehmen können.

Daß die Klägerin hier zugleich mit ihrem Ehemann verheiratet war, also eine gemischte Tätigkeit vornahm, steht dem Versicherungsschutz deshalb nicht entgegen, weil es genügt, daß die Tätigkeit wie ein Versicherter wesentlich mitursächlich war.

Generell gilt, was man der Entschädigungspraxis der Berufsgenossenschaft vorwerfen muß und auch der Rechtsprechung, daß nicht verhütet wird, was nicht entschädigt wird.

Wie es dann weitergeht, kann man sich lebhaft vorstellen.

Die Ehefrauen, die also jahrzehntelang asbestgefährdet tätig wurden bei der Reinigung der Arbeitskleidung ihrer Männer, nehmen nicht einmal an den berufsgenossenschaftlichen Überwachungsuntersuchungen Asbest teil und werden dort auch nicht zugelassen.

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Sozialrecht

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Deutscher Sozialgerichtsprozeß im Berufskrankheitenverfahren

Deutscher Sozialgerichtsprozeß im Berufskrankheitenverfahren

Anwaltlich muß festgehalten werden, daß der schwerstwiegende Mangel in diesen Verfahren der Umstand ist, daß die Sozialgerichtsbarkeit ausnahmslos gewissermaßen die Expertisen respektive Gutachten der Technischen Aufsichtsdienste der beklagten Berufsgenossenschaft zugrundelegt bei der Beurteilung der Gefährdungssituation.

Es wird nicht berücksichtigt, daß sich der Technische Aufsichtsdienst der Berufsgenossenschaft in dem Konflikt befindet, eine Berufskrankheit etwa einen Asbestkrebs nicht verhindert zu haben und nunmehr die Voraussetzungen einer Berufskrankheit arbeitstechnisch bestätigen zu sollen.

An letzterem hapert es gewissermaßen gewaltig.

So ist in einem Lungenkrebsfall nach Asbesteinwirkung, der Versicherte hatte Asbestsäcke ungeschützt in die Maschine zu entleeren, eine arbeitstechnische Expertise des Technischen Aufsichtsdienstes der beklagten Berufsgenossenschaft feststellbar dahin, daß der Technische Aufsichtsbeamte nur 10 Fasern pro cm3 Atemluft für diese Tätigkeit zugrundelegt, während es in Wahrheit 500 Fasern pro cm3 gewesen sein dürften.

Das weitere antizipierte Parteigutachten, nämlich die Faserjahrreporte, herausgegeben vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften, ergeben durch Querverweise, daß am Ende der Wert für den Umgang mit leeren Säcken zugrundegelegt wird, die Asbest enthalten haben mögen zuvor.

Schlimmer also kann es nicht kommen für einen Versicherten, nämlich einmal an einem Asbestlungenkrebs zu erkranken und zum anderen dann an den Technischen Aufsichtsdienst einer Berufsgenossenschaft zu geraten, welcher unzutreffend niedrige Faserzahlen ermittelt, so daß die Asbestfaserjahrrechnung, 25 Asbestfaserjahre müssen es sein, wenn keine Brückensymptome vorliegen, scheitern muß.

Es gilt also, den Parteigutachten der Technischen Aufsichtsbeamten der beklagten Berufsgenossenschaft zu begegnen und den antizipierten Sachverständigengutachten in Form der Faserjahrreporte, herausgegeben vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften, die imaginär niedrige Werte enthalten für die einzelnen Verrichtungen mit Asbest.

Es besteht eine Übereinkunft der Sozialgerichte dahingehend, die „Expertisen“ des Technischen Aufsichtsdienstes der beklagten Partei zugrundezulegen, wenn der Lungenkrebserkrankte oder etwa die Witwe es nicht besser wissen.

Kein rechtliches Gehör findet der Hinweis, daß die Faserjahrzahl höher zu bewerten ist als in dem antizipierten Parteigutachten Faserjahrreport.

Dessen Grundlagen bleiben in den einzelnen Berufskrankheitenfeststellungsverfahren überdies im Dunkeln.

So werden keine Befunde darüber vorgelegt, warum nicht beim Trennschleifen von Asbest 500 Fasern pro cm3 zugrundezulegen sind, wie im Prüfstandsversuch, sondern nur etwa 60 Fasern pro cm3.

Mit den Grundsätzen eines fairen Verfahrens nach Artikel 6 Menschenrechtskonvention dürfte das geschilderte Verfahren in keiner Weise in Übereinstimmung stehen.

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Sozialrecht

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