Pleuramesotheliom eines Heizungsmonteurs und Schweißers

Typischer Fall des bösartigen Pleuramesothelioms eines Heizungsmonteurs und Schweißers, der auf wechselnden Baustellen tätig und asbesthaltigen Stäuben ausgesetzt war.

Hier: Fragen des Beginns der Verletztenrente aus Anlass der Berufskrankheit Nr.4105

Der Versicherte begab sich am 24.10.2013 erstmals in Behandlung seines Pleuramesothelioms.

Er wurde stationär behandelt, wo schließlich am 18.02.2014 ein bösartiges Mesotheliom festgestellt wurde.

Die Berufsgenossenschaft setzte als Versicherungsfall und Verletztenrentenbeginn den 24.10.2013/25.10.2013 fest.

Die Verletztenrente betrug 100 % = 2/3 des Bruttojahresarbeitsverdienstes.

Tatsächlich war also hier der Versicherungsfall mit dem ersten Arztbesuch festgelegt worden, obwohl an diesem Datum die Pleuramesotheliomerkrankung voll entbrannt war.

Der Versicherungsfall, d.h. der Beginn der Verletztenrente musste also wesentlich früher eingetreten sein.

Ob ein Schaden entstanden ist und wie hoch sich der Schaden beläuft, beurteilt sich nach der freien richterlichen Überzeugungsbildung, § 287 I ZPO analog, § 202 Sozialgerichtsgesetz.

Zu Vermeidung eines früheren Rentenbeginns bestand also das Berufungsgericht darauf, den Strengbeweis anzuwenden.

Eine freie richterliche Überzeugungsbildung wurde nicht getätigt.

Der arbeitsmedizinische Gutachter Prof. Dr. N. führte unter dem 11.04.2018 aus, soweit geltend gemacht werde, die bösartige Erkrankung der Lunge habe sich bereits am 04.09.2001 bemerkbar gemacht, sei dies nicht denkbar, weil dann eine Überlebenszeit von ca. 15 Jahren angenommen werden müsse, während Überlebenszeiten von mehr als drei Jahren bei Erkrankungen an einem Lungenmesotheliom wenig wahrscheinlich seien, erst recht nicht bei unbehandelter Erkrankung.

Dies gelte auch, soweit darauf hingewiesen werde, die in Mitte 2009 geklagten Beschwerden seien durch eine Mesotheliomerkrankung verursacht worden.

Auch müsste eine Überlebenszeit von etwa sieben Jahren angenommen werden.

Es stelle sich jedoch die Frage, ob mit neueren Methoden der Bestimmung sogenannter Bio-Marker eine frühere Diagnose erreichbar gewesen wäre.

Für den vorliegen Fall sei insoweit zu konstatieren, dass das Forschungsprojekt zur Etablierung von Bio-Markern zur Früherkennung von Lungenmesotheliomen noch nicht abgeschlossen sei, jedenfalls zur Zeit der vorliegenden Erkrankung und auch keine zusätzliche Erkenntnisse hätten liefern können. Deute die klinische Symptomatik auf eine Mesotheliomerkrankung hin, so werde in der Pneumologie eine Computertomografie des Thorax gefordert, die auch hier durchgeführt worden sei. Allerdings habe sich die Erkrankung bereits in einem fortgeschrittenen Stadium gezeigt. Abschließend bleibe zu fragen, ob in der kritischen Zeit 2011 und 2013 Anlass zu häufigeren Vorsorgeuntersuchungen bestanden habe. Diese Frage sei wegen der im Jahr 2001 bereits nachgewiesenen pleuralen Veränderungen zu bejahen. Zur Früherkennung asbestbedingter Erkrankungen werde für exponierte Versicherte die nachgehende arbeitsmedizinische Vorsorge angeboten. Hätte der Versicherte dieses Angebot erhalten und hiervon Gebrauch gemacht, so wäre die Diagnose seiner bösartigen Erkrankung vor dem 24.10.2013 möglich gewesen. Es gebe keinen Zweifel daran, dass die Erkrankung bereits einige Zeit vor Diagnosestellung bestanden habe. Die Tumorverdopplungszeit sei bei 17 Tumorknoten mit Werten zwischen 0,5 und 3 Monaten gemessen worden.

Lege man diese Messung vor Pleuramesotheliome insgesamt zugrunde, so folge daraus, dass das Mesotheliom des Versicherten zwischen 28 Tagen und 6 Monaten zu 25 % so stark ausgeprägt gewesen sei, wie am 24.10.2013.

Der Tumor wäre in diesem Stadium deutlich erkennbar gewesen. Bereits am 26.09.2013 hätte daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Pleuramesotheliom erkannt werden können. Die Einschätzung gehe bewusst von der kürzesten gemessenen Verdoppelungszeit aus. Abschließend führte der Sachverständige aus, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte die Diagnose mit der geforderten Sicherheit bereits am 26.09.2013 gestellt werden können, also statt am 25.10.2013.

Der Strengbeweis, den das Berufungsgericht anwandte, diesseitiger Auffassung nach zu Unrecht, verhinderte also, dass der Versicherungsfall, der auf dem Zufallsdatum der Diagnose basierte, auch nur einige Tage vorverlegt würde, also in Form der Verletztenrente von 100 %.

Allgemeine Praxis der Berufsgenossenschaften ist im Berufskrebsfall:

„Vor der Diagnose ist die anspruchsbegründende Tatsache des Eintritts des Versicherungsfalls nicht im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustellen.“

Das kostet die Berufskrebskranken viele Monate von Verletztenrente, die bei freier Überzeugungsbildung fällig würden.

Rolf Battenstein
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Sozialrecht

WeiterlesenPleuramesotheliom eines Heizungsmonteurs und Schweißers

Zufallsdatum

Zufallsdatum der Diagnose bei Eintritt eines Asbestlungenkrebs aus Anlaß der beruflichen Tätigkeit;

hier: Verspäteter Rentenbeginn erst ab Stellung der Diagnose der Berufskrankheit
Nr. 4104

In einem Rechtsstreit vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – L 10 U 694/16 – war die Frage zu entscheiden, ob die bewilligte Verletztenrente auf unbestimmte Zeit am 10.10.2012 zu beginnen hatte mit der Diagnose einer MdE von 100 %, d.h. ab dem Zeitpunkt der Diagnose also, oder ob nicht maßgeblich war der mutmaßliche Beginn der Erkrankung, hier an einem Lungenkrebs des Versicherten.

Nach § 202 SGG in Verbindung mit § 287 I ZPO analog beurteilt sich die Frage, ob ein Schaden entstanden ist und wie hoch sich der Schaden beläuft, nach freier richterlicher Überzeugungsbildung.

Von einer freien richterlichen Überzeugungsbildung kann dann keine Rede sein, wenn hier formal auf die Stellung der Diagnose abgestellt wird, statt den Sachverhalt auszuermitteln.

Hätte das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen § 286 ZPO beachtet, wäre die Vorverlegung des Erkrankungsbeginns an einem Asbestlungenkrebs nicht abgelehnt worden.

Das Gericht hat nämlich unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten sei.

In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fälle gebunden.

Im vorliegenden Fall indizierte die Tatsache eines Tumors der Größe 12 x 9 x 5 cm schon vor Oktober 2012 die Tatsache und Schlussfolgerung, dass dieser Tumor schon länger gewachsen war.

In freier Überzeugungsbildung hätte also das Landessozialgericht nunmehr den mutmaßlichen Beginn des Tumors bestimmen müssen.

Dazu und zu der Vorverlegung des Beginns der Verletztenrente kam es allerdings nicht.

Vielmehr verwahrte sich das Berufungsgericht gegen eine solche Schlussfolgerung, siehe Seite 7 des betreffenden Urteils.

Ein Kernsatz dieses Urteils ist:

„Wird kein Arzt aufgesucht, spricht vielmehr alles dagegen, dass eine ärztliche Behandlung objektiv erforderlich gewesen wäre.“

Ein unzweifelhaft vorher vorliegender Asbesttumor soll also objektiv nicht ärztlich behandlungsbedürftig sein.

Dieser Leitsatz führt in die Irre gewissermaßen.

Der an die Beklagte gerichtete Vorwurf der Klägerin, die beklagte Berufsgenossenschaft habe den Versicherten, d.h. den asbestkrebserkrankten Ehemann der Klägerin nicht ausreichend engmaschig überwacht, was dazu geführt habe, dass dieser nach April 2011 zunächst keinen Arzt mehr aufgesucht habe, liege neben der Sache, so das Landessozialgericht.

Denn die Berufsgenossenschaft hätte den Versicherten in regelmäßigen Abständen von ca. 2 Jahren gutachterlich untersuchen lassen.

Dass das bei einem Asbestkrebsfall nicht genügt und diesem auch nicht vorbeugt, kann nicht verwundern.

Vergeben wird bei einem zu langen Nachuntersuchungsintervall auch die Möglichkeit der Prävention.

Nicht eben höflich, wie zitiert, verneint das Landessozialgericht in diesem Fall eine engmaschigere Betreuung der Versicherten.

Es hat den Anschein, dass sozialgerichtlich eine Abstimmung unter den Richtern stattfindet, die Vorverlegung des Versicherungsfalls bei einem Asbestlungenkrebs etwa abzulehnen, mit der Begründung, man könne nicht auf die anatomische Historie des zugrundeliegenden Leidens mit Tumorgrößen und anderen Parametern abstellen, sondern allein auf die auf einem Leiden resultierende konkrete Funktionsbeeinträchtigung.

Demgegenüber heißt es an maßgeblicher Stelle des Gesetzes, § 56 Abs. 2 SGB VII:

„Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Erwerbsarbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens.“

Der Tumor kann noch so groß sein, wird er nicht bemerkt, entfaltet er angeblich keine Minderung der Erwerbsfähigkeit, obwohl der Versicherte bereits wie Hund gewissermaßen gelitten haben mag.

Rolf Battenstein
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Sozialrecht

WeiterlesenZufallsdatum