Familienheimfahrt

Die 13 – „Sie können der Nächste sein“
Arbeitsunfälle, Wegeunfälle, Berufskrankheiten

8. Familienheimfahrt

Tod in Anatolien und der Elchfall des Deutschen Der deutsche Gesetzgeber hat die geschützten Wege um die Fälle erweitert, in denen der Versicherte, ob Türke oder Deutscher, am Arbeitsort nur eine Unterkunft hat und seine Familienwohnung in der Türkei bzw. der Deutsche in seinem Heimatland beibehält, § 8 Abs. 2 Nr. 4 Sozialgesetzbuch 7. Mithin ist der Weg in den Jahresurlaub des Türken versichert, wenn dieser in Deutschland nur eine Unterkunft hat (oft handelt es sich um ein Wohnheim) und seine Familie weiterhin in der Türkei lebt.

 

Der Beispielsfall:

Ein Türke tritt im Juli seinen Jahresurlaub von 3 bis 4 Wochen an, in welchem er Frau und Kinder in der Türkei besuchen will. Nach 3.500 km zurückgelegter Strecke etwa fährt der Versicherte übermüdet in ein Bückengeländer, 15 km vor seinem Heimatort, und zwar mit Todesfolge.

Nach der zitierten Vorschrift haben die Witwe und die Waisen Anspruch auf Hinterbliebenenrenten, Witwenrente und Waisenrenten.

Diese können insgesamt 80 % des Jahresbruttoverdienstes ausmachen, d.h. für eine Familie von Witwe und 2 Kindern bei einem Jahresbruttoverdienst von DM 60.000,– insgesamt etwa DM 48.000,- – jährlich.

In diesem Zusammenhang möge sich der Leser aber eine freundliche, berufsgenossenschaftliche Amtsstube vorstellen, in welcher folgende Szene abläuft. Ein berufsgenossenschaftlicher Mitarbeiter mißt anhand einer Landkarte die Strecke aus, welche der Gastarbeiter auf dem Weg von Deutschland nach Anatolien zurückgelegt hat und kommt auf die stattliche Anzahl von etwa 3.500 km.

Zum anderen macht sich der berufsgenossenschaftliche Mitarbeiter Gedanken darüber, ob nicht der Türke in
Deutschland eine deutsche Freundin hatte und sich sein Lebensmittelpunkt deshalb vom Wohnsitz der Familie in der Türkei nach Deutschland verlagert hätte.

Im letzterem Falle könnte der Mitarbeiter dann auf den Einwand verfallen, den Versicherungsschutz gegenüber der Witwe und Waisen abzulehnen, mit der Begründung, der Familienvater hätte doch eine Freundin in Deutschland gehabt.

Aber nicht nur dieser Einwand schwebte dem berufsgenossenschaftlichen Mitarbeiter vor.

Die Länge der Strecke sollte ebenso zu Ablehnungsgrund gedeihen, nach der Vorstellung des Sachbearbeiters.

Eingewandt werden sollte eine sogenannte „selbstgeschaffene Gefahr“.

Diesen Einwand hat die Rechtsprechung entwickelt, obwohl im Gesetz festgehalten ist, daß auch verbotswidriges Verhalten den Versicherungsschutz nicht ausschließt, heute § 7 Abs. 2 SGB VII wörtlich: „Verbotswidriges Handeln schließt einen Versicherungsfall nicht aus.“

Überfährt also ein versicherter Geschäftsreisender eine Ampel bei rot, um den Termin zu halten, schließt dieses den Versicherungsschutz für den infolge dessen eintretenden Unfall in keiner Weise aus.

Insofern dürfte der Türke die 3.500 km versicherungsunschädlich zurücklegen, auch wenn zu wenig Schlafpausen eingelegt wurden.

Dieses stellt sich ohnehin im konkreten Fall als Wegegefahr bei einer derart langen Strecke dar.

Es gab einen Fall, in welchem die fristlose Kündigung vom deutschen Arbeitgeber ausgesprochen wurde, weil der tödlich Verunglückte nicht aus dem Jahresurlaub nicht zurückkehrte.

Viele Fälle dieser Art werden erst garnicht bekannt, obwohl in diesem Zusammenhang durchaus Aufklärungsbedarf besteht und etwa Amtsermittlungspflicht. Mit Plakaten des Verbandes der Berufsgenossenschaft an den deutschen Autobahnen, zum Thema „Pausenlos fit“ mit entsprechenden Foto, wird man dieser Fälle sicher nicht Herr.

Es könnte sein, daß hier der Jahresurlaub bezogen auf die Strecke und den Gedanken des Familienurlaubs generell reichlich kurz bemessen ist und deshalb sozialer Handlungsbedarf besteht.

Am rechtlich bestehenden Versicherungsschutz ändert dies aber nichts.

Der Fall wie gebildet steht unzweifelhaft unter Versicherungsschutz, und zwar bei angemessener Rechtsanwendung.

Man darf dabei aber nicht unterschätzen, daß selbst die absonderlichsten berufsgenossenschaftlichen Einwände im Einzelfall auf richterliches Gehör stoßen können.

Dafür gibt es aber dann den Rechtsweg mit Berufung und Revision.

Es sei aus Lauterbach Unfallversicherung Sozialgesetzbuch VII zitiert:

„Ständige Familienwohnung“. Das ist die Wohnung, die ständig, d.h. für längere Zeit den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse des Versicherten bildet. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach der tatsächlichen Gestaltung der Verhältnisse zur Unfallzeit. Mitbestimmend sind hierbei die sozialen Kontakte des Versicherten zu anderen Personen und die psychologischen und soziologischen Gegebenheiten. Ob es sich um eine eigene Wohnung, um Untermiete oder um eine sogenannte Schlafstelle handelt, oder ob der Versicherte an einem bestimmten Ort polizeilich gemeldet
ist, sei nicht entscheidend. Dagegen ist in jedem Fall notwendig festzustellen, ob das Ziel der Fahrt die Familienwohnung war, wenn die objektiven Merkmale der Familienwohnung erhalten geblieben sind usw.. (Lauterbach Anmerkung 544)

Der Versicherungsschutz gilt auch für ausländische in Deutschland beschäftigte Arbeitnehmer (Gastarbeiter), und zwar uneingeschränkt, also auch hinsichtlich der Wege jenseits der Grenzen. … kann selbst nach einem 14 Jahre dauernden Aufenthalt in der BRD bei einem Türken der Mittelpunkt seiner Lebensverhält- nisse noch bei seiner Familie in der Türkei sein.

Bei Verheirateten wird der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse in der Regel der Wohnsitz der Ehefrau sein, BSG in Breithaupt 1966, 383 lt. Zitat bei Lauterbach. Man kann also nicht sagen, daß der erwähnte berufsgenossenschaftliche Mitarbeiter, der zu Beispielszwecken so zitiert wird, nicht genügend Anhaltspunkte gehabt hätte, um von der Zählung der Kilometer abzusehen und von der Forschung danach, ob der Versicherte in Deutschland eine Freundin hatte.

Aber nun zu dem Elchfall.

Beispiel: Deutscher Versicherter ist in Skandinavien berufstätig und fährt auf der Familienheimfahrt nach Deutschland. Dabei kollidiert der Pkw mit einem Elch, noch in Skandinavien. Die Besonderheit, die Familie sitzt ebenfalls im Auto, also etwa die Ehefrau.

Auch in diesem Fall kann deshalb Hinterbliebenenanspruch z.B. der Ehefrau bestehen, weil der Familienmittelpunkt in Deutschland beibehalten war, z.B. Einfamilienhaus.

Die Entschädigung eines solchen Falls könnte allerdings in einer Berufsgenossenschaft eine Unruhe auslösen, vergleichbar etwa dem Aufstand, der sich in der Presse ergab, als der Elchtest der Mercedes A.- Klasse kolportiert wurde.

Dabei hält der Verfasser dafür, daß es sich bei dem Mercedes der A-Klasse um ein grundsätzlich sicheres Auto handelt, genauso wie der Versicherungsschutz im gebildeten Beispielfall feststeht.

Rechtsweghinweis:

Leider ist es so, daß eine couragierte berufsgenossenschaftliche Sachbearbeitung in den schlimmen Wechselfällen des Lebens kaum als möglich erscheint. Dagegen steht der Argwohn von Kollegen und Vorgesetzten, die schnell damit bei der Hand sind, eine angeblich falsche Anerkennung der für schuldhafte Vermögensschäden der Berufsgenossenschaft abgeschlossenen Vermögensschadenshaftpflichtversicherung zu melden.

Die Auswertung dieser Fälle wäre eine Untersuchungwert.

Denn nicht alles, was die Berufsgenossenschaft in diesem Falle vom Privatversicherer oder aber auch von dem ansonsten eintrittspflichtigen Krankenversicherer zurückverlangt, steht der Berufsgenossenschaft auch tatsächlich zu.

Vielmehr gibt es eine erhebliche Fehlerquote bei den berufsgenossenschaftlichen Ablehnungen, d.h. eine beachtliche Zahl von Fällen, in denen zu Unrecht der Ver- sicherungsschutz verweigert wird, ob bei Wegeunfälle oder auch bei Berufskrankheiten sowie bei dem normalen Arbeitsunfall.

Die Fehler stellen sich insbesondere dann ein, wenn wesentliche Mitursächlichkeiten minderer Art vernachlässigt werden, wenn der Beweisgrad überspannt wird etc..

Die Witwe, deren Mann an schwerer Staublunge starb, wird in den seltensten Fällen den Rechtsweg einschlagen, wenn die Berufsgenossenschaft behauptet, der Versicherte wäre an einer anderen Ursache verstorben.

Will die Betroffene sich denn tatsächlich noch auf einen langen Rechtsstreit mit der Berufsgenossenschaft einlassen, wenn sie es durch die Pflege ihres schwerkranken Mannes schon schlimm genug hatte?

Ein Rechtsstreit gegen die Berufsgenossenschaft kann bequem 8 Jahre dauern.

 

Bild von PublicDomainPictures auf Pixabay