Tödlicher Wespenstich

Die 13 – „Sie können der Nächste sein“
Arbeitsunfälle, Wegeunfälle, Berufskrankheiten


5. Tödlicher Wespenstich

Wespe in der Bierflasche Unerklärlicherweise geriet die Rechtsprechung zum Thema der alltäglichen Gefahren, die sich ebenfalls beim Arbeitsunfall auswirken können, ins Schlingern. Bei Podzun findet sich als Leitsatz der betreffenden Entscheidung des Bundessozialgerichts, Podzun Der Unfallsachbearbeiter 105, 18:

 

„Ein während einer Arbeitspause beim Trinken aus einer Bierflasche erlittener Wespenstich mit tödlichem Ausgang wäre kein Arbeitsunfall, weil durch die betriebliche Tätigkeit keine besondere Wespenstichgefahr gegeben gewesen wäre.“

Allen Ernstes argumentierte das Bundessozialgericht wie folgt:
„Wenn auch dem Berufungsgericht zugegeben werden könne, daß erfahrungsgemäß Wespen durch auf dem Boden herumliegendes verfaulendes Obst angelockt zu werden pflegen, so sei dieser vom LSG seiner Feststellung zugrunde gelegte Erfahrungssatz hier aber deshalb unbeachtlich, weil der Zeuge seiner Aussage zufolge an dem Vormittag des Unfalltages keine Wespen auf dem Privatgrundstück des Arbeitgebers bemerkt habe. In tatsächlicher Hinsicht sei demnach festzuhalten, daß die vom LSG angenommene besonders große Wespenstichgefahr auf dem genannten Grundstück nicht bestand. Damit ist der Entscheidung des Berufungsgerichts der Boden entzogen. Es hätte demnach richtigerweise seiner Entscheidung die Feststellung zugrunde legen müssen, daß O.B. Bier getrunken hat, als er auf dem Grundstück seines Arbeitgebers arbeitete und ihn hierbei eine Wespe gestochen hat.
Für die Frage, ob eine solche Verrichtung versichert ist, ist die Rechtsprechung von Bedeutung, wonach Essen und Trinken bei der Arbeit nur ausnahmeweise versichert sind, nämlich dann, wenn besondere Umstände das Moment der Eigenwirtschaftlichkeit beim Essen und Trinken als unwesentlich zurücktreten lassen. Das könnte der Fall gewesen sein, wenn die Arbeit so anstrengend und Durst machend gewesen wäre, daß das Trinken erforderlich war, um die Arbeiten weiter verrichten zu können. Davon kann aber hier nicht die Rede sein. Da O.B. als er die Bierflasche leerte, nicht nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 versichert war, war der zum Tode führende Unfall kein Arbeitsunfall.“

Wie es zu dieser Ausreißerentscheidung des Bundessozialgerichts kam, ist auch durch diese Begründung nicht zu erklären.

Gemessen an der Kausalitätsnorm ist die Arbeit nicht hinwegzudenken, am Unfalltag, ohne daß ebenfalls der Unfall entfiele.

Mithin war die versicherte Tätigkeit zunächst im logisch-naturwissenschftlichen Sinne conditio sine qua non (Bedingung ohne die nicht).

Wie nun konnte dem Bundessozialgericht die Bestimmung der Wesentlichkeit so schwer fallen, daß damit im Ergebnis eine Jahrzehnte alte Entschädigungspraxis der gesetzlichen Unfallversicherung zum Thema des Insektenstichs am Arbeitsplatz zu kippen drohte?

Kein vernünftiger Unfallsachbearbeiter wäre in einem solchen Fall auf den Gedanken eines Ablehnungsbescheides gekommen.

Die zitierte BSG-Entscheidung ist ganz offenkundig falsch.

Denn an diesem Arbeitstag wurde die Wespe am Arbeitsplatz gewissermaßen zur Betriebsgefahr und es bleibt völlig gleich in Ansehung der Kausalität, ob die Wespe während der Arbeitszeit zustach oder während der Arbeitspause.

Ähnliches gibt es bei den beruflichen Tropenkrankheiten.

Anerkannt wird hinsichtlich der Malaria nicht nur der Stich der Anopheles-Mücke während der Arbeitszeit, sondern auch derjenige Stich der Anopheles-Mücke, der sich während der privaten Nachtruhe des in die Tropen entsandten Versicherten ereignet.

Keineswegs hätte das Bundessozialgericht eine besondere Gefährdung fordern dürfen.

Es reicht bereits die alltägliche Gefahr.

Ein Versicherter kann auch auf dem Weg zur Arbeit auf einer Bananenschale ausrutschen, ohne daß das den Versicherungsschutz ausschließt.
In anderen Worten:
Der Wespenstich war eine von außen kommende, körperlich schädigende Einwirkung, die in einem inneren, wesentlichen, mindestens teilursächlichem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stand. Es war also nicht eine innere Schadensanlage etwa in der Person des Versicherten zum Tragen gekommen.

Daß der Schaden innerhalb der Arbeitszeit zugefügt sein muß, ist nicht unbedingte Voraussetzung, sondern nur ein Indiz für einen Arbeitsunfall.

Interessant ist das andere Beispiel aus der älteren Rechtsprechung:

„Trinken von Formlack aus einer von einem Arbeitskollegen mitgebrachten Bierflasche in der Annahme, die Flasche enthalte – wie gewönlich – Most, steht unter Unfallversicherungsschutz. Der in der Gießerei beschäftigte Kernmacher T. pflegte seinen Durst durch mitgebrachten Most zu stillen. Sein Arbeitskollege, der Kernmacher B., trank häufig ebenfalls aus der Bierflasche, teils mit ausdrücklichem, teils mit stilllschweigendem Einverständnis des T. (BSG in Breithaupt 1971 Seite 549).

Zur Bejahrung des Versicherungsschutzes hätte es überdies nicht eines durch die betriebliche Tätigkeit gesteigerten Durstgefühls bedurft. Vielmehr reichte das Vorliegen der bezeichneten Betriebsgefahr vollauf.

Der Wespenstichfall zeigt, wie gefährlich es wird, wenn sich das Bundessozialgericht von einer Kausalitätsbeurteilung entfernt.

Ganz schlimm wird es dann, wenn man nun etwa auf den neuen Begriff der sogenannten finalen Handlungstendenz abstellen würde, also denVersicherungsschutz davon abhängig machte, daß der Versicherte sich bewußt sein muß, eine versicherte Tätigkeit zu verrichten.

Da der Versicherte die „Betriebsgefahr“, Wespe in der Bierflasche, naturgemäß nicht wahrnahm, wäre es in diesem Fall rein eigenwirtschaftlich, in der Pause Bier zu trinken.

In der Folgezeit scheint die Ausreißerentscheidung des Bundessozialgerichts zum Wespenstichfall etwas gemildert worden zu sein, und zwar zum Fall des Versicherten, der bei Arbeiten auf dem Schrottplatz des Unternehmens von einem Insekt gestochen wurde, siehe BSG in Die Sozialgerichtsbarkeit 199O, Seite 186 ff.

Aber auch hier verlangte man dann, daß die erledigte Tätigkeit für den konkreten Unfall in auffälliger Weise wirksam werden muß.

Dieser Fall wurde immerhin an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Besprecher dieses Schrottplatz-Urteils macht in der Anmerkung auf folgendes aufmerksam, daß der Einwand, der „Unfall hätte dem Versicherten zur gleichen Zeit an jedem beliebigen anderen Ort, insbesondere auch an seinem privaten Lebensmittelpunkt, zustoßen können respektive ein eben solcher Unfall wäre dem Versicherten zur gleichen Zeit privat zugestoßen, bei Insektenstichfällen kaum denkbar ist (SGB 1991, Seite 189, rechte Spalte oben.

Nach der gegenwärtigen Lage in Rechtsprechung und Fachliteratur, scheint es nunmehr zu einem Vabanque-Spiel geworden zu sein, wie Berufsgenossenschaft und Sozialgericht Fälle dieser Art entscheiden.

Die Tendenz scheint aber allgemein zu sein, allenthalben den Versicherungsschutz zurückzuschrauben.

Rechtsweghinweis:
In jedem Fall sollte bei vergleichbarer Fallgestaltung der Rechtsweg eingeschlagen werden, also wie gesagt, Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid der Berufsgenossenschaft, Klage gegen den Widerspruchsbescheid der Berufsgenossenschaft (und gegen den Ablehnungsbescheid), Berufung an das Landessozialgericht, Revison an das Bundessozialgericht.

Anspruchsteller können sich allerdings in diesem Verfahren Urteile einhandeln, in welchen das Gericht von einer eigenen Begründung absieht und auf die „zutreffenden Gründe im Ablehnungsbescheid“ Bezug nimmt.

Damit ist dann das Ende der Fahnenstange deutlich erreicht.

Erst recht in einem solchen Fall sollte der Rechtsuchende auf weitergehende Überprüfung drängen. Ist sein Fall bereits durch alle Instanzen rechtskräftig abgewiesen, kann der Betroffene trotzdem wieder unten bei der Berufsgenossenschaft Antrag auf Überprüfung nach § 44 SGB X und auf rechtsbehelfsfähigen Bescheid hierzu stellen.

Im Wespenstichfall hat etwa das Bundessozialgericht übersehen, daß Wespen nicht nur durch herumliegendes verfaulendes Obst angelockt zu werden pflegen, sondern auch durch eine offene Limonaden- oder Bierflasche, die der Versicherte zur Arbeit mitgebracht hat.

 

** Die obigen rechtlichen Ausführungen stellen naturgemäß keine Rechtsberatung dar, sondern sollen lediglich als erste Information und Orientierung dienen. Dabei ist zu beachten, dass sich die Rechtslage auch jederzeit ändern kann und die obigen Ausführungen insofern nicht in jedem denkbaren Fall die jeweils aktuellste Rechtslage darstellen können.